Seit über zwei Jahren gibt es eine globale Pandemie, welche schon Millionen Todesopfer forderte und in der ganzen Welt Verwerfungen in den Gesellschaften sichtbar macht. Die Polarisierung in den Debatten um die Eindämmung einer nicht von allen anerkannten Pandemie ist zum Teil erschreckend und verschiedene Akteur*innen aus der Rechten schaffen es über dieses Thema enorme Mobilisierungserfolge zu erzielen.
Seit Anfang der Pandemie gibt es Proteste gegen die Maßnahmen der Regierungen. Schon von Anfang an waren sie nicht nur von Rechten unterwandert, sondern wurden (regional unterschiedlich) maßgeblich von ihnen geprägt.
Die soziologischen Untersuchungen zu den Protestmilieus verweisen aber auch auf eine hohe Heterogenität in der Zusammensetzung und große regionale Unterschiede bei den Protestierenden. Auffällig ist, neben den ostdeutschen Bezügen auf Protestformate nach Pegida, die vor allem im Südwesten der Bundesrepublik offensichtliche Politisierung esoterischer und anthroposophischer Kreise.
Die Zusammenarbeit von, sich selbst als links verstehenden Protagonist*Innen mit rechten Kräften, ist seit den Montagsmahnwachen der selbsternannten „Neuen Friedensbewegung“ von 2014 hinlänglich bekannt und belegt. Der verbindende ideologische Kitt ist dabei zuvorderst ein feindbildbasierter Verschwörungsglauben.
Im Jahr 2020 wurde durch unterschiedliche Akteure – zum Teil ganz neu in der Landschaft der Verschwörungsideologien, aber auch alt eingesessene – zu Protesten aufgerufen, zu denen in den großen Städten der BRD zum Teil mehrere zehntausende Menschen kamen. Die Mobilisierung gelang, anders als bei den Montagsmahnwachen von 2014/2015, bis in das vorwiegend (esoterisch-) bürgerliche Milieu hinein.
Auch Aktive aus dem Wendland beteiligten sich an den Demos in anderen größeren Städten, wie z.B. an der großen Demonstration in Berlin am 28. August 2020 mit der Erstürmung der Treppe des Parlamentsgebäudes.
Schon bevor es mit Corona losging, gab es im Wendland und der Altmark eine kleine und kurze Mobilisierung gegen den schon längst beschlossenen 5G-Ausbau. Nachzulesen hier. Es gründeten sich zu der Zeit Telegram-Gruppen zu diesem Thema, welche mit allerhand Verschwörungstheorien und Fakefacts gespickt waren.
Diese schafften es aber nicht, ein größeres Mobilisierungspotenzial zu erlangen. Mehr als ein paar “Infoveranstaltungen” gab es dazu nicht.
Auch wurde von Ärzt*Innen, wie dem Orthopäden Carsten Schwieder aus Lüchow, verschwörungsideologischer Mist im Internet verbreitet. Er lässt es sich nicht nehmen, auch während Corona, seine wirren Thesen an seiner Praxis-Tür zu veröffentlichen.
Als der als Impfgegner bekannte Arzt Herbert Waltke zu einem Treffen der Impfgegner*Innen-Szene aufrief, kamen über 300 Personen aus dem Wendland, der Altmark und Lüneburg/Uelzen. Auf diesem Treffen wurden Personen aus der Reichsbürgerszene und auch bekannte rechte Gesichter gesehen .
Telegram, “Spaziergänge”, Nazis….
Auch im Wendland und in der Altmark werden nun die Stimmen derer lauter, die sich im Internet über Telegram und Facebook radikalisieren. In dieser Region gibt es nun Demonstrationen – die sie selbst “Spaziergänge” nennen – gegen die Corona-Maßnahmen und es wird gegen die angebliche Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften aufgerufen.
Es gibt Kerzen-Aktionen in den Kleinstädten, an den Bundesstraßen und vereinzelt auch Proteste vor Schulen, gegen die Impfung von Kindern.
Es soll hier nun nicht darum gehen, ein Für und Wider der Impfung zu diskutieren. Wir befassen uns hier ausschließlich mit den Netzwerken und den Ideologien hinter den Protesten und auch mit der Zusammenarbeit oder zumindest dem Tolerieren von Nazis und anderen Akteur*Innen von rechtsaußen in den Netzwerken der Verschwörungsideolog*Innen.
Ein Beispiel für die absolute Toleranz rechter Präsenz in der Querdenken-Szene waren die “Montagsspaziergänge” am 03.01.2022 und 10.01.2022 in Lüchow, bei denen neben anderen bekannten Rechten auch der Afd-Kandidat und ehemalige Taxiunternehmer Martin Freynik teilnahm. Freinyk arbeitet mittlerweile bei Fox-Trainings in Lüchow. Diese “Spaziergänge” werden von dem Ableger der rechtsradikalen Gruppe Freie Sachsen, den Freien Niedersachsen beworben. Sie Mobilisieren momentan in ganz Niedersachsen tausende Leute an Montagen und Samstagen, oder anderen Wochentagen. Es ist Teil der Neurechten Strategie der Destabilisierung der Demokratie.
Wie im ganzen deutschsprachigen Internet, gibt es auch hier Gruppen bei Telegram, wie “Corona Info Wendland” (mittlerweile gelöscht), “Freies Denken und Handeln im Wendland” oder lokale Ableger der Eltern-stehen-auf Initiative, wie “Eltern stehen auf – Hitzacker”. Auch in diesen Gruppen werden Verschwörungsideologien (1), rechte Quellen (2), sowie rechte bis rechtsradikale Inhalte gepostet (3).
Exemplarisch werden wir hier nun einen nicht öffentlich zugänglichgen Telegram-Chat beleuchten. In diesem Chat namens “Diskussionsgruppe-Netzwerk” gibt es eine zunehmende Radikalisierung und auch die Zusammenarbeit mit einem im Landkreis bekannten Nazi. Es scheint hier keine Grenze nach ganz rechts außen mehr zu geben.
Nachdem die EJZ zu den Entwicklungen der Chats berichtete, machten sich einige technisch versierte Aktivist*Innen daran, die im EJZ-Artikel angedeuteten Behauptungen, in dem Chat sei ein Nazi zugegen, zu überprüfen. Und siehe da: Der im Artikel erwähnte Nazi ist Timothy Laack, über den es schon so einige Berichte in den Medien gab (4,5,6,7). Im Chat nennt dieser sich Tim.
Herausgefunden, dass es sich wirklich um Timothy Laack handelt, haben die Recherchierenden durch sein Handle. Das ist der Name auf Telegram, der dafür da ist sich bei Telegram finden zu lassen. Dieses Handle ist @TY_LK_81. Hier sind seine Initialien zu erkennen und eine Zahl, die möglicherweise auf sein Geburtsjahr hinweist oder eine politische Anspielung darstellt.
Um zu verifizieren, dass es sich wirklich um seinen Account handelt, wurde sein Facebook-Accont inspiziert und auf diesem hatte er selbst geschrieben, dass er von nun an nur noch über Telegram erreichbar ist und dieses Handle selbst gepostet (8) (sein Profil ist mittlerweile komplett bereinigt).
So haben wir nun herausgefunden, dass sich in einem Chat, wo sich Menschen aus unserer Umgebung befinden, auch ein völkischer Nazi agitiert. Zuerst dachten wir: “Das kann doch nicht sein, da weiß bestimmt niemand, wer das ist.”. Auch grenzten die bekannten Verschwörungsideolog*innen sich in ihren Äußerungen in Gesprächen oder in Chats immer davon ab, rechts zu sein und mit Rechten zusammenzuarbeiten.
Und anders als in vielen anderen Landkreisen konnte man hier bislang wenig Überschneidungen im realen Leben mit rechtsradikalen Strukturen erkennen, abgesehen von den oben erwähnten “Spaziergängen” in Lüchow, oder der Zusammenarbeit einer “DieBasis”-Politikerin mit einem AFD-Abgeordneten im Samtgemeinderat Elbtalaue – schlicht, weil es keine organisierten Nazistrukturen im Wendland gibt.
Aber wenn man im Chat-Verlauf bis kurz vor das im Text schon erwähnte Treffen von Herbert Waltke schaut, dann zeichnet sich ein anders Bild. Nämlich, dass die Personen, die von sich behaupten links zu sein und gegen Faschismus, mit einem gestandenen Neonazi und völkischen Siedler freundlich darüber reden, sich dort zu sehen und wie man am besten parken kann (9).
Es muss also zumindest nach dem Treffen, wo man sich ja sah, bekannt gewesen sein, um wen es sich handelt. Und seine Ideologie hat er auch im Chat offen vor sich her getragen. Antisemitismus, Antikommunismus und Sexismus, scheinen jedoch eher Konsens in dieser Gruppe zu sein, was etliche Screenshots beweisen.
Auch scheinen die Mitglieder in der Gruppe gerne seine Tipps anzunehmen, wenn es um Sicherheit geht. Als es um Waffenbesitz geht, schreitet der gute Timothy sofort ein und bewahrt die anderen vor strafrechtlicher Verfolgung, indem er ihnen klar macht, diese Themen nicht in der Gruppe zu behandeln. Daraufhin wurden natürlich alle relevanten Postings gelöscht. (10)
Mit diesen Informationen und dem Wissen, wer da in diesen Chats ist, welche Personen auf den “Spaziergängen” laufen, kann es nicht sein, dass sich nun auch Linke denken, dort mitlaufen zu müssen (siehe EJZ-Bericht vom 10.01.2022).
Wer mit Faschist*Innen läuft, sich mit ihnen in Chats organisiert, hat sich von einer solidarischen Gestaltung der Gesellschaft verabschiedet. Wer regionalen Nazis einen (virtuellen) Resonanzraum anbietet, den sie in diesem Umfang seit mehr als 40 Jahren nicht mehr hatten, wer ihnen bei ihren Hassparolen nicht widerspricht, wer sie duldet, ihre Parolen und gedanklichen Rahmungen teilt, macht sich mitschuldig an Menschenfeindlichkeit und Hass.
Gegen jeden Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und alle andere Arten der Menschenfeindlichkeit!
Gegen jede Querfront im Wendland und in der Altmark!
Alerta Antifascista!
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(4) Timothy Laack ist ein Völkischer Siedler aus Breese im Bruche. Schon als er noch in Wibbese wohnte, war er mit der dortigen Naziszene vernetzt. Die Belegt zum Beispiel ein Besuch des Identitären Martin Baron 2014 auf dessen damaligen Hof. Auch versuchte er dort ein Völkisches Siedlungsprojekt zu initiieren, welches er “Wehrhof Löwenzahn” nannte. Dieses Projekt wurde durch Protest der Anwohner*Innen verhindert. Seit einiger Zeit versucht er durch Querfront-Taktik Anschluss an die wendländische Impfgegner*Innen-Szene zu bekommen.
An seinem Haus in Breese im Bruche prangt ein Banner, welches die Impfkampagne mit industriellem Massenmord vergleicht.
(5) https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/rechtsextremismus-der-neonazi-auf-dem-lande-13900103.html
(6) https://www.ejz.de/lokales/lokales/nazi-kinder-unerwuenscht_50_111666505-28.html
(7) https://www.ejz.de/lokales/leserbriefe/voelkischer-sozialismus_53_110930013-28.html
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